Einen sentimentalen Moment hatte ich während der Fernseh-Übertragungen der Eishockey-WM 2011. Da saß er plötzlich im Publikum, eingefangen von der Kamera: Victor Tichonov. Der fast 81-jährige ist einer der Gründe, warum ich als kleiner Junge mein Herz an Puck und Schläger verlor.
Damals, in den 80ern, dominierte auf dem Eis die Farbe Rot und die vier Buchstaben „CCCP“ auf den Trikots derer, die dieses Rot trugen. Die Nationalmannschaft der Sowjetunion knallte alles weg, was nicht schnell genug vom Eis war. Fasziniert von diesem „Total Hockey“ der „Sbornaja“ (auf Deutsch: Auswahl), die ab und an gegen einen schwächeren Gegner (ALLE Gegner waren schwächer) auch mal freiwillig eine Strafe kassierten, um einfach mal ein wenig das eigene Unterzahlspiel zu trainieren, saß ich gebannt vor dem Fernseher, um die Übertragungen der Weltmeisterschaften in den 80ern zu verfolgen.
Meinen Söhnen und ähnlich Gleichaltrigen sei gesagt, die 80er waren die Zeit des „Kalten Krieges“, die Russen wurden uns als unheimliche Menschen eingeredet, Fernsehübertragungen aus Gebieten östlich von Berlin waren von wackeliger Qualität und alles, was aus der Sowjetunion kam , war irgendwie militärisch und damit für uns Kinder spannend. So auch Victor Tichonov. Der erfolgreichste und beste Eishockeytrainer seiner Zeit hatte selbst bei Fernsehübertragungen eine Ausstrahlung von solcher Strenge, dass ich vor dem Fernseher strammstand und mich fast nicht traute, meine Erdnussflips weiter zu essen.
Tichonov war es, der die „Fantastischen Fünf“, das Nonplusultra des Eishockeys, den berühmtesten und besten Block aller Zeiten, formte. Noch heute kann man mich nachts wecken und ich bete sie auswendig herunter. Wladimir Krutov, Igor Larionov und Sergej Makarov (auch die KLM-Reihe oder Green-Line genannt) im Sturm, Wjatscheslaw Fetisov und Alexei Kassatonov in der Verteidigung. Dahinter der „Mann mit den tausend Händen“ Wladislaw Tretjak im Tor.
Und wenn die gespielt hatten, ist der Kleine Tom anschließend direkt zum Nachbarn rüber, wo schon unser selbstgebasteltes Tor auf den Pflastersteinen stand. Die Pfosten und die Latte hatte mein Papa uns zusammengezimmert, die Tornetze waren aus Apfelsinennetzen und der Puck war ein Softball. Als Eishockeyschläger mussten ein paar alte Krückstöcke unserer Opas herhalten, die wir einfach rumdrehten. Und los gings. Mit zunehmender Körpergröße wurden wir dann auch mal mutiger und wechselten im Winter von der Garageneinfahrt auf den zugefrorenen Hettmecker Teich. Zwar ohne Schlittschuhe, aber mit roten Trikots, auf denen die vier Buchstaben CCCP aufgemalt waren. Uli, Michael, Rolf, Stefan und ich waren dann Larionov, Krutov, Makarov, Fetisov und Kassatonov.
Und selbst bei den Playmobil-Männchen, die man seinerzeit noch selbst bemalen konnte, behielten die Genossen die Oberhand gegenüber Kühnhackl, Friesen, Reindl & Co..
Das sind wirklich schöne Erinnerungen und noch heute übt das russische Eishockey eine ganz besondere Faszination auf mich aus.
Könnte mir jetzt glatt noch ne Borschscht kochen. Aber ich hab ne bessere Idee. Ich werde mir in der eishockeylosen Sommerpause mal die Mühe machen, und die sieben Herren, die meine Kindheit mitgeprägt haben, näher vorstellen. Einen nach dem anderen. Beginnen werde ich natürlich mit dem „Boss“.
Spasibo, Victor Tichonov.
(14.05.2011)
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Ludwig (Freitag, 17 Mai 2024 10:55)
Mir aus der Seele geschrieben!!!