"Willst Du mit nach Istanbul?" Mit dieser Frage meines Freundes Aziz Dogru Anfang des Jahres begann ein Traum, der für mich vom 1. bis 4. Mai 2013 wahr wurde. Dies ist der Bericht einer besonderen Reise.
Wer nun allerdings einen typischen Reisebericht mit allen kulturellen und geschichtlichen Infos über Istanbul erwartet, der kann aufhören zu lesen oder sich direkt an unseren Mitfahrer Gerrit ("Der Philosoph") wenden... ;-) Wer jedoch einfach nur die Geschichte der sechs Attendorner Sven Bonacker, Gerrit Schiffer, Besnik "Niko" Mamaj, Aydo Gündogan, Aziz Dogru und meiner Wenigkeit, die vier lustige, aufregende und lehrreiche Tage bei einer Studien- und Kulturreise in einer der fazinierendsten Städte auf dieser Erde lesen möchte, der ist hier richtig.
Tag 1, 1. Mai 2013: Japanische Deutsche, Bier-Security und der frierende Niko
Nachdem unser Reiseleiter Aydo in Zusammenarbeit mit Aziz in den Wochen vor der Reise schon fleißig alles vorbereitet hatte und ich mir dank Herrn M. Polo ein gewisses Halbwissen über die Metropole Istanbul angelesen hatte, ging es am Abend des 30. April endlich los. Aziz und seine Frau Seher hatten uns zum Essen eingeladen, bevor der Flieger um 2 Uhr nachts ab Köln/Bonn abhob. Schon Tage vor der Reise hatte uns Aziz darauf vorbereitet, dass wir in den vier Tagen Istanbul wohl alle sechs Kilo zunehmen würden. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er damit schon den ersten Abend meinte...
Denn was Familie Dogru uns servierte, war mehr als nur ein Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten Tagen noch erwarten würde. Zum Nachtisch gab es noch den Champions League-Finaleinzug vom BVB gegen Real Madrid. Zum Glück setzte sich der BVB knapp durch. Denn so blieb uns ein über vier Tage deprimierter Mitreisender Sven erspart.
Dieser brachte uns also euphorisch und in neuer Rekordzeit nachts zum Köln/Bonner Flughafen, wo wir auf Aydo trafen, der schon vorgefahren war.
Sehr zur "Freude" weiterer übernächtigter Passagiere in der Wartehalle enterten wir sechs ein kleines Kinderflugzeug und vertrieben uns die Wartezeit bis zum Abflug mit Rumalbern. Die "richtige" Maschine der Pegasus-Airline landete nach knapp drei Stunden sicher auf dem Sabiha Gökcen Airport im asiatischen Teil Istanbuls. Der Flug war recht unangenehm. Eng und vor allem warm war es.
Nur Niko friert.
Der Transfer am frühen Morgen vom Flughafen zum Stadtteil Eyüp, wo unser Hotel stand, erlaubte uns einen ersten Eindruck von der unfassbaren Größe Istanbuls. Und als Fußball-Fan schlug mein Herz beim Anblick des neuen Galatasaray-Stadions natürlich auch gleich höher, wenngleich ich es doch eher mit Fenerbahce habe...
Im Hotel gab es dann einen kleinen Aufreger. Da unsere Zimmer nicht bezugsfertig waren, durften wir uns nur kurz frisch machen, denn unser strammes Programm, welches Aydo ausgearbeitet hatte, ließ kein Chillen zu. Belohnt wurden wir dennoch mit einem faszinierenden Ausblick. Denn unser Hotel "Turquhouse" befand sich auf einem Berg direkt über dem "Goldenen Horn", welches uns im Morgenlicht entgegenstrahlte.
Die Sonne schien. Nur Niko friert.
Nach einem ausgedehnten Frühstück in der Nähe der imposanten Eyüp-Sultan-Moschee "unten im Tal", welches wir täglich mit der Seilbahn erreichten, sicherte sich Aydo gleich mal eine Handy-Karte für die Tage in Istanbul. Das dauerte so lange, dass wir schon davon ausgingen, dass "Turkcell" ab sofort in "Aydocell" umbenannt wird. Die schleppende Busfahrt in Richtung Sultanahmet, eines der drei großen Zentren Istanbuls, nutzten wir für ein kurzes Schläfchen.
Allen war warm. Nur Niko friert.
Nach einem ersten Besuch eines Basars standen mit dem Besuch der spätantiken Zisterne Yerebatan Sarnici - dort unten hat nicht nur Niko gefroren - , der Hagia Sophia, dem leider wegen Renovierungsarbeiten gesperrten Deutschen Brunnen und der Sultan-Ahmet-Moschee (in Europa auch als "Blaue Moschee" bekannt) gleich vier touristische Highlights auf dem Programm dieses ersten Tages. Japanischen Touristen gleich hetzten wir zu den Sehenswürdigkeiten, knipsten uns die Finger wund und freuten uns einfach, in Istanbul zu sein.
Die Müdigkeit hatte bei diesem Programm keine Chance, durchzukommen. Und dank der Sonne war uns allen echt warm.
Nur Niko friert.
Am Ende des Tages wollten sich Sven und ich ein kühles Efes-Pils gönnen. Natürlich wussten wir um die Bedeutung von Alkohol in der türkischen Öffentlichkeit, zumal wir im Eyüp-Viertel waren, einem der religiösesten Viertel der Stadt. Vorsichtig versteckten wir uns hinter der Mauer vor unserem Hotelzimmer. Nach nur einem Schluck stand plötzlich die Hotel-Security vor uns beiden. Freundlich, aber bestimmt, wiesen sie uns zurecht. Den zweiten Schluck nahmen wir dann im Hotelzimmer zu uns...sehr zur Freude von Aydo, der sich türklopfend als Security-Mann ausgab und uns einen zweiten Schrecken einjagte.
Den ersten Abend ließen wir in einem wunderbaren Restaurant direkt an der Eyüp-Sultan-Moschee ausklingen. Da der Besitzer ebenso wie Aydo aus dem Raum Trabzonspor kam, gab es viel zu Reden und vor allem viel zu Essen. Alle waren satt und müde und völlig erschlagen von den ersten faszinierenden Eindrücken dieser mächtigen Stadt.
Und Niko friert.
Nach 38 Stunden auf den Beinen - dies hatte ich zuletzt mit Anfang 20 auf einem Open Air-Festival geschafft - ging es endlich ins Bett.
Schnarch-Zwischenstand: Sven 1 - Tom 0.
Die Bilder des Tages:
Tag 2, 2. Mai 2013: Ferhat Vettel, "Alles Albaner, Junge" und "Kann der kein Deutsch?"
Nach einem ausgedehnten Frühstück mit einem herrlichen Blick hinab aufs "Goldene Horn" stand nach dem gestrigen Kulturspektakel heute mit dem Besuch der Privatschule "Fatih Koleji" zunächst ein Aspekt aus der Abteilung Bildung auf dem Programm.
Bevor es zu dieser Schule ging, lernten wir IHN kennen. Ferhat, unseren Chauffeur für die kommenden drei Tage. Ferhat - diese unfassbare Mischung aus Sebastian Vettel (Fahrstil), Magnum (Aussehen), Buddha (Weisheit), Marlboro-Mann (Rauchfaktor), Johann Lafer (Gaumenfreuden) und Yeti (Coolness) - wurde für uns schnell zu einem wahren Freund. Schon am zweiten Tag war er auf keinem Gruppenfoto mehr wegzudenken...
Im "Fatih Koleji" wurden wir von Ihsan Acar herzlich begrüßt. Herr Acar ist der Leiter aller Tutoren in dieser Eltiteschule, die aus der bekannten und aufgrund einer sehr islamistisch geprägten Erzihungsform nicht überall kritiklos behafteten "Gülen-Bewegung" entstanden ist. Auf 14 Schüler kommen zwei Lehrer, drei Kinos auf dem Schulgelände, mehrere Sporthallen und über 30 ausländische Tutoren sorgten bei uns ebenso für Erstaunen wie die Disziplin der Schüler in ihren Schuluniformen und die Sauberkeit in der Schule. Allein in Istanbul gibt es nicht weniger als 42 dieser Schulen, die staatlich anerkannt sind. Schüler aus aller Welt, egal welcher Abstammung oder welcher Religion, werden angenommen, sofern sie die Hürde der Aufnahmekriterien erfüllt haben. Herr Acar stellte sich geduldig unseren Fragen, die durchaus und zurecht auch kritisch waren.
Nach so viel Hirnschmalz gönnte uns Ferhat eine kleine Stadtrundfahrt in unserem Gefährt. Am Fuße der Galata-Brücke mit dem weltbekannten Panorama der Angler darauf stärkten wir uns an einem der vielen Ufer-Restaurants mit einer Portion Fisch.
Danach war mit dem Besuch eines original türkischen Dampfbades (Hammam) ordentlich Chillen angesagt. Nach dem frierenden Niko am Vortag war es diesmal meine Wenigkeit, der sich den Titel "Looser des Tages" einheimste. Denn nach nur fünf Minuten im bekannten "Cemberlita Hamami" verabschiedete ich mich in Richtung Kühlschrank im Foyer. Da ich auch in Deutschland noch nie zuvor in einer Sauna rumgeschwitzt habe, war ich ob der gefühlten 80 Grad in dem Kochtopf echt überfordert. Auch der Liter Wasser, den Aziz mir über den Körper goss, sorgte eher für einen plötzlichen Herzstillstand als für die angesagte Muße. Sauna und ich werden keine Freunde, das steht fest.
Ich nutzte die Zeit und begab mich nebenan zum Barbier. Schon erstaunlich, wie flink der Typ mit der Klinge an mir herumfuchtelte und mir die Ohrenhaare mit dem Feuerzeug entfernte. Hab ich Ohrenhaare?
Nur beim Thema Haareschneiden, welches im Preis inbegriffen war, stieß der gute Barbier bei mir an seine Grenzen. Kürzer als kurz geht halt nicht. Ganz im Gegensatz zu Sven, der nun ebenfalls unters Rasiermesser kam, um dann noch die Liebe des türkischen Hairstylisten zur Geltube kennenzulernen. Sven hieß fortan ob der verbüffenden Ähnlichkeit zu den Einheimischen nur noch Nuri.
Ferhat steuerte uns am späten Nachmittag noch durch das permanente Istanbuler Verkehrschaos. Nach zweieinhalb Stunden im Auto mit gefühlt zurückgelegten fünf Kilometern und am Stadion von Besiktas vorbei kamen wir an dem Aussichtspunkt "Calmlica" an. Faszinierend: selbst hier oben guckst Du nach vorne, nach hinten, nach links und nach rechts und siehst: Istanbul, Istanbul, Istanbul und noch mehr Istanbul. Keine Chance auf einen Horizont ohne Beton. Spätestens hier gaben wir es auf, die Größe Istanbuls in Worte zu fassen.
Nachdem wir das gemacht hatten, was wir alle am besten konnten, nämlich Essen, steuerte uns Ferhat zurück zum Hotel. Da Niko immer noch fror, bekam Aziz einen minutenlangen Lachanfall. Es sah aber auch zu komisch aus: Niko in kurzer Hose, aber mit dickster Jacke drüber.
Zur Einstimmung auf das abendliche Europapokal-Halbfinale zwischen Benfica Lissabon und Fenerbahce stimmten wir im Auto lauthalts das Vereinslied von Fener "Ya Sa Fenerbahce" an. Ohne zu merken, dass der Wachposten von "Camlica" schon längst am offenen Autofenster mit Ferhat diskutierte. Eine Peinlichkeit blieb uns erspart, denn der Kollege des Wachposten sang in seinem Häuschen einfach lauthals mit. Istanbul ohne Fußball geht halt nicht.
Den Weg zum Hotel überbrückte Niko mit albanischen Weisheiten und dem absoluten Highlightspruch: "Hier sind alles Albaner. Was soll ich machen, Junge?"
Das Fußballspiel schauten wir uns aufgeteilt auf beide Halbzeiten in zwei Fener-Fankneipen an. Leider verlor Fener das Spiel 1:3. Während in Deutschland wohl Stühle geflogen wären, blieb hier im Eyüp-Viertel alles friedlich. Es ist schon Wahnsinn, mit welcher Leidenschaft der Fußball in der Türkei gelebt wird. Einmal beim Derby Fener gegen Gala dabei sein, das wäre ein Traum.
Einen echten Verbal-Kracher gab es noch während des Spiels, als wir beim Kellner unsere Bestellungen aufgaben. Gerrit war etwas abgelenkt und schaute den Kellner einfach nur fragend an. Der schaute zu mir, zeigte auf Gerrit und babbelte im besten hessischen (!) Akzent: "Kann der kein Deutsch?". 20 Jahre Darmstadt hatte der Kellner auf dem Buckel. Und ausgerechnet Gerrit, unser Zwei-Meter-Vorzeigedeutscher und Philosoph der Reise, war sprachlos. Wir bügelten uns vor Lachen und verliefen uns dabei auf der Suche nach einem Taxi. Dabei war der Taxistand gerade einmal 20 Meter vom Cafè entfernt. Oder es lag an der Wasserpfeife zuvor, die sich Sven, Aydo und ich haben schmecken lassen? Sah bei Aydo irgendwie gekonnter aus als bei Sven und mir...;-)
Ohne weitere Zwischenfälle und ohne Efes ging es ins Bett.
Schnarch-Zwischenstand: Sven 1 - Tom 1
Die Bilder des Tages:
Tag 3, 3. Mai 2013: Beim Barte des Propheten, verrückte Eisverkäufer und "Melonäääää only one Lira"
Nach dem die Geschmacksnerven nach dem tollen Frühstück wieder auf Hochtouren liefen, steuerte uns Ferhat schon früh in die Stadt, wo wir zunächst aus dem Staunen nicht heraus kamen. Über 300 Autos mit deutschem Kennzeichen auf einem Platz. Was war geschehen? Suchten die Asyl in der Türkei? War irgendwo wieder eine Mauer gefallen? Nein, die "Allgäu-Orient-Rallye" machte auf dem Weg von Bayern nach Jordanien Stop in Istanbul. "Eines der letzten automobilen Abenteuer dieser Welt, die Old- und Youngtimerrallye vom Allgäu in den Orient, fand dieses Jahr zum achten Mal statt. Sie ist die "Low Budget Rallye" für Leute, die das kalkulierbare Abenteuer und eine bezahlbare Alternative zu den für den Normalbürger oft unbezahlbaren anderen Rallyes suchen. Sie ist für Menschen, die ein wenig positiv verrückt sind, und für starke Teams", so die Veranstalter.
Mit an Bord: hunderte von Bobby Cars und Spielzeug für die Kinder in Jordanien. Coole Sache.
Für uns ging es aber weiter in Richtung Topkapi-Palast. Den Besuch dieses bekannten Palastes hatten sich offenbar auch ALLE anderen Touristen in der Stadt an diesem Tag vorgenommen. Im Gänseschritt ging es Richtung Eingang, wo sich Sven mit einem Übersetzungs-Kopfhörer ausstattete. Sehr zur Freude von Aziz, der an so mancher Stelle fragend vor Sven stand: "Was redet dein Dolmetscher denn da für einen Blödsinn?".
Die verschiedenen Höfe waren beeindruckend. Besonds imponierend waren die Ausstellungsräume mit den Barthaaren des Propheten und den (angeblichen) Utensilien von Moses. Aziz steuerte viel über Religion bei, das war schon sehr beeindruckend.
Mir wurde es allerdings nach zwei Stunden zu bunt und zu voll im Topkapi. Und so nabelte ich mich von der Gruppe ab und ging allein ins "Städtchen", um mich dort mit Efes, Kaffee und der aktuellen Ausgabe der "Sabah" mal für eine Stunde zurückzuziehen. Nichts gegen meine fünf Freunde, aber die Plauderei mit dem Kellner über das gestrige Fußballspiel und die Atmosphäre um mich herum musste ich einfach mal allein genießen.
Die anderen hielten es natürlich nicht lange ohne mich aus - oder war es umgekehrt? - und schon waren wir wieder vereint. Mit Köfte auf der Hand warteten wir auf Ferhat, der uns anschließend in den Stadtteil Ortaköy fuhr. Dort stärkten wir uns mit mit einem Eis. Was daran besonderes ist? In der Türkei gibts für Touristen nicht einfach nur ein Bällchen ins Hörnchen und gut ist. Nein, in Istanbul sind die witzigen Eisverkäufer ein Muss. Schaut Euch das mal hier an, so ging es uns vier "Kartoffeln" auch:
Danach stand die Besichtigung einer griechisch-orthodoxen Kirche auf dem Programm, wo uns Rev. Evangelos Grigoriadis freundlich begrüßte und uns die beeindruckende Kirche, die von gerade einmal 18 Gemeindemitgliedern gehalten wird, von innen zeigte. Seinen Wunsch respektierend werden wir keine Bilder vom Inneren dieser Kirche zeigen. Ich kann nur sagen, es war sehr beeindruckend, was an goldenen und vergoldeten Sachen da so herumblitzte.
Zum Abendessen waren wir dann bei einer türkischen Familie am anderen Ende der Stadt eingeladen. Obwohl ganz Istanbul irgendwie "am Ende der Stadt" zu liegen scheint. Jedenfalls brauchten wir über zwei Stunden, um in einem schönen "Vorort" anzukommen. Auf dem Weg dorthin hatte Ferhat noch zwei große Auftritte. Mitten im Verkehrsstau stand plötzlich ein Brautpaar neben uns im Auto. Von Scheibe zu Scheibe rief Ferhat dem fahrenden Bräutigam zu: "Was machst Du an diesem Tag mit Deiner Frau im Stau? Fahr doch dahin, wo es schön ist..."
Lacher Nummer Zwei erfolgte wenige Minuten später. In Istanbul kann man alles auf der Straße kaufen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Da eh immer Stau ist, stehen unzählige Straßenverkäufer mitten auf der Straße und preisen den vorbeifahrenden....äh....vorbeikriechenden Autofahrern von Essen, Trinken und ganzen Wohnungseinrichtungen alles an. So auch Blumen, die wir unserer heutigen Gastfamilie in guter deutscher Tradition mitbringen wollten. Die Verhandlungen zwischen dem Blumenverkäufer und Ferhat mitten auf dieser Hauptstraße waren fast schon die Fahrt nach Istanbul wert. Der Verkäufer wollte 20 Lira pro Strauß. Irgendwann wurde es Ferhat zu bunt. Er drückte dem Blumenverkäufer 20 Lira in die Hand, schloss das Fenster und gab Gas. Natürlich mit zwei Sträußen auf dem Beifahrersitz. Das Gesicht des Verkäufers im Rückspiegel: unbezahlbar!
Bei der türkischen Familie wurden wir von Vater und Sohn freundlich empfangen. Bei leckerem Essen entwickelten sich spannende Gespräche über Sport, Religion, Geschichte und Politik. Leider war diese schöne Begegnung schon nach zwei Stunden zu Ende und mit Gastgebergeschenken im Gepäck ging es zurück in Richtung Hotel.
Aydo hatte unterwegs noch so eine "kleine" geschätzte 50 Kilo-Wassermelone organisiert, die wir uns zusammen mit Sonneblumenkernen auf der Hotelmauer mit Blick auf das "Goldene Horn" und Istanbul bei Nacht schmecken ließ. Die Erinnerung an dieses Bild verursacht noch heute Gänsehaut bei mir. Die übriggebliebenen Melonenstücke verteilte Aydo noch an einheimische Kinder und versuchte sich dann noch als Melonenverkäufer bei einer japanischen Touristengruppe: "Meloooonäääää....only one Lira....". Er hat nicht ein Stück verkauft, aber wir bogen uns vor Lachen und zogen uns dann ins Hotel zurück.
Schnarch-Zwischenstand: Sven 5 - Tom 1
Die Bilder des Tages:
Tag 4, 4. Mai 2013: The Fog
Wie heißt es doch so schön: "Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt." Unter diesem Motto stand unser letzter Tag. Geplant war eine Schifffahrt auf dem Bosporus mit anschließendem Basarbesuch, der TV-Übertragung des Basketball-Derbys Fener gegen Efes Istanbul und einem Geocache. Bis auf die Bosporus-Fahrt konnte ich alles knicken...
Was war passiert? Gut gelaunt bestiegen wir sechs Neu-Istanbuler den Kahn, der uns zwei Stunden über den Bosporus schippern sollte. Daraus wurden vier Stunden mit dem Höhepunkt eines Schiffsunfalls. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war der Bosporus zwischen Asien und Europa aufgrund Nebels nicht passierbar. Eine Rückkehr in den europäischen Hafen war nicht mehr möglich. Alle Schiffe mussten den Stadtteil Üsküdar im asiatischen Teil der Stadt ansteuern. Bei dieser Aktion rammte ein anderes Schiff unseren Kahn. Erst als wir abends auf dem Weg zum Flughafen an einer Raststätte die türkische Nachrichtensendung im TV verfolgten, wurde uns das Ausmaß dieses für uns so empfundenen "Remplers" bewusst: auf dem Nachbarboot gab es drei Verletzte und die Passagiere dort mussten die Rettungswesten anziehen. Wir bekamen davon nichts mit, hatten bei dieser Aktion aber offenbar den Papst und Allah in der Tasche...
Gestrandet in Üsküdar sank meine Laune auf den Nullpunkt. Kein Basketball, keine Geschenke für die Lieben zu Hause, kein Geocache und meine Mitstreiter auf alle Läden in Üsküdar verteilt, saß ich auf einer Bank und schob Frust. Der verfliegt allerdings schnell, wenn man solch fantastischen Mitstreiter um sich hat, wie ich in diesen Tagen von Istanbul. Wir machten das Beste aus der Situation und taten das, was wir am besten konnten: Essen...;-) Dabei verteilte Aydo, der beste Reiseführer der Welt, noch Geschenke an jeden von uns. Gerne hätten wir uns dafür revanchiert, aber wir hatten ja keine Chance auf Geschenkekauf. Das wird nachgeholt, mein Freund...
Ich gönnte mir noch einen Rucksack von Fenerbahce. Bei den Verhandlungen mit dem Verkäufer stieß selbst der "Feilsch-Großmeister" Aziz an seine Grenzen. Sehr zur Freude von Niko war der Verkäufer Albaner. Niko: "Sag ich doch, alles Albaner hier...".
Dann stand auch schon der Transfer zum Flughafen auf dem Programm. Ein letzter Tee und eine letzte Zigarette mit Ferhat an der Raststätte ließen schon Wehmut aufkommen. Ferhat bekam von uns noch ein Geschenk und die Auszeichnung "Bester Chauffeur der Welt" verliehen, was selbst diesen coolen Eisbär erweichen ließ.
Für ein Phänomen sorgten wieder einmal einige autofahrende Einheimische, die einen drohenden Stau auf der Autobahn einfach damit umgingen, dass sie ihr Gefährt zurück Richtung Autobahnauffahrt steuerten...rückwärts!
Auf dem Flughafen erlebten wir vier "Kartoffeln" noch eine echte Lehrstunde. Während sich Aziz und Aydo für kurze Zeit in Richtung Gebetsraum verabschiedeten, wollten wir vier uns noch ein Abschiedsbier auf dem Flughafen gönnen. Natürlich ohne vorher auf die Preisliste zu schauen. Der Spaß kostete uns 80 Lira (knapp 35 Euro). Für vier Bier. Wir kratzten die allerletzten Bargeldbestände zusammen, um diesen "Deckel" bezahlen zu können. Der Vorschlag von Niko "Lass uns abhauen, Junge!" fand ob der begrenzten Fluchtmöglichkeiten innerhalb des Flughafengebäudes auch keiner Mehrheit. Aydo und Aziz bogen sich vor Lachen, als wir ihnen diese Geschichte erzählten. "Da lassen wir Türken Euch Kartoffeln einmal alleine und schon werdet Ihr gelinkt..."
In der Wartehalle fassten wir noch den Beschluss, dass die nächste Reise nach "Essfax" geht und schon saßen wir im Flieger, der zum Glück so leer war, dass fast jeder von uns drei Plätze zum Schlafen hatte. Bis auf Gerrit, der irgendwo im Bereich für 2-Meter-Menschen saß und Niko, der eine furchtbar unsymathische Nebenfrau erdulden musste.
Und schon waren sie Geschichte, diese aufregenden und wunderbaren Tage in Istanbul.
Was bleibt, sind Erinnerungen, Bilder und Begebenheiten die ich wohl erst in Wochen und Monaten verarbeitet habe. Der deutsche Sänger Bosse hat ein Lied über Istanbul geschrieben, welches ich durch Sven kenenlernen durfte. In diesem Lied finden sich viele meiner eigenen Gefühle wieder. Hört selbst:
Die Bilder des Tages
Danke
Gerrit, der Philosoph und Kulturbeauftragte,
Sven, der lauteste aber beste Zimmerkollege, mit dem man über so viele Dinge reden kann,
Aydo, weltbester Reiseführer und Melonenverkäufer,
Aziz, mein Freund, der mir diese Reise ermöglicht hat und von dem ich so viele Dinge lernen durfte
und
Niko, alter Albaner.
DANKE für diese tolle Zeit.
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Aziz (Donnerstag, 30 Mai 2013 23:38)
Wir danken Dir.
Ich habe es jetzt zum dritten Mal gelesen und jedes Mal voller Tränen im Auge (auch wegen Weglachen).
Diese Reise wird wiederholt und getoppt das verspreche ich Euch.
Gerrit (Samstag, 01 Juni 2013 22:43)
Eine unvergesslich tolle Reise wurde in einem unschlagbaren und sensationellen Reisebericht zusammengefasst.
Vielen, vielen Dank lieber Tom, die vielen Reiseimpressionen durch Deinen Bericht auf so anschauliche und humorvolle Art und Weise nochmals zu rekapitulieren !
Man fühlt sich gleich wieder im Urlaub.
Ich freue mich jetzt schon mit Dir, Aziz, Aydo, Sven und Niko zusammen wieder zu einer neuen Reise aufzubrechen !